ParasitenParasitinnen sind Figuren der Ambivalenz, die sich durch ein weder-noch charakterisieren lassen. Sie besetzen einen Zwischenraum und balancieren auf der Grenze, ohne sich einer Seite zuzuordnen. Ihre Existenz ist gekoppelt an das System, in das sie intervenieren und das sie von innen heraus zersetzen. Michel Serres beschreibt dendie Parasitin als transformierend, denn ersie verwirrt die alte Ordnung, bringt durcheinander und schafft neue Verbindungen1. ParasitenParasitinnen produzieren Unordnung und können dadurch eine Umordnung anstoßen. Das Kunstprojekt Penthouse à la Parasit von Jakob Wirth und seinem anonymen Künstlerkollegen vereint Privileg und Prekarität miteinander, es befindet sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und politischem Aktivismus und verkompliziert hierarchisch gedachte Kategorien wie Zentrum und Peripherie. Es positioniert sich innerhalb eines Grenzbereichs und macht damit vielfältige Konflikte und Diskrepanzen sicht- und erfahrbar. Die Figur desder Parasitin bietet eine Folie, auf der die Intervention in ein bestehendes System sowie die Unterwanderung hegemonischer Strukturen imaginiert werden können. Mit Michel Serres lassen sich Parasitinnen nicht als abgeschlossene Wesen verstehen, sondern als relational, als Teil von, vielfältig und kollektiv tätig2. Das Penthouse à la Parasit weist auf Gegensätze hin, ohne diese auflösen zu können, und bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen eingeschlossen_ausgeschlossen. Es nistet sich im politischen Raum ein und zeigt Handlungsspielräume auf, indem es Leerstellen besetzt und aneignet. Gleichzeitig ist es von der Duldung seines Wirtes abhängig und läuft Gefahr, als bloßer Imageverbesserer einer Stadt vereinnahmt zu werden und sein subversives politisches Potential zu verlieren. Darin zeigt sich nicht zuletzt die Aufnahmefähigkeit kapitalistischer Verwertungslogiken, die in der Lage sind, sich noch die konträrsten kulturellen Zeichen einzuverleiben.
Wie politisch Kunst machen im Zeitalter des kapitalistischen Realismus, in dem, wie Mark Fisher es treffend beschrieb, es einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus? Derdie Parasitin kann als Beispiel für die Entwicklung von Überlebensstrategien verstanden werden, die im Umgang mit feindlichen Systemen unumgänglich sind. Es lassen sich Parallelen ziehen zwischen dem Begriff des Parasitären und Queer. Letzteres war vormals ebenfalls ein Schimpfwort, das durch subversive Aneignung zur widerständigen Selbstbezeichnung wurde und sich einer klaren Definition entzieht. Fest steht aber, dass sich Queer als Konzept widerständig zu den Regimen des Normalen und Normierenden positioniert und als Denkwerkzeug für die Kritik an diesen fruchtbar eingesetzt werden kann. Es verwundert daher nicht, dass sich in queer-feministischen künstlerischen Praktiken zahlreiche Auseinandersetzungen mit dem ‚Anderen‘, Abjekten, und/oder Monströsen wiederfinden. Obwohl queere Strategien primär cis-heteronormative Logiken und Ordnungssysteme in den Blick nehmen, wird darüber hinaus ein generelles Infragestellen binär gedachter Strukturen möglich. Dies tut auch das Penthouse à la Parasit, das einen liminalen Ort besetzt und aus dieser Grenzposition heraus, (vermeintliche) Gegensätze als miteinander verbunden zeigt. Im Folgenden werden queere künstlerische Strategien, die ebenfalls subversiv angeeignete Figuren und Techniken zum Ausgangspunkt machen, als fruchtbare Erweiterung parasitärer ästhetischer Strategien verhandelt. Dabei stehen zwei Figuren im Vordergrund, da sie – wie derdie Parasitin – von innen heraus Systeme alterieren: der Trickster und die Hacker*in.
Die Bezeichnung Trickster leitet sich aus dem französischen trique ab und meint „betrügen, mogeln, einen Streich spielen“3. Sophie Lembcke hat sich intensiv mit der Figuration Trickster beschäftigt und charakterisiert diese als eine Grenzfigur, die, ganz ähnlich wie derdie Parasitin, den Regeln der Herrschaft folgen muss, diese aber gleichzeitig mit seinen „trickreichen, herrschaftsnegierenden Handlungen” subvertiert und damit Möglichkeiten der Intervention vorzeichnet. Nach Lembcke stehen Trickster für das “un-disziplinierte Erforschen. Sie stehen dafür, sich Freiräume zu schaffen, in denen das ganz Andere überhaupt erst denkbar wird, aufscheinen, sich figurieren und sich materialisieren kann“4. Als Denkfigur, die duale Zuschreibungen und Kategorisierungen sichtbar macht und aufbricht, bieten Trickster eine Basis, auf der Veränderungen erprobt und durchgespielt werden können. Während der Trickster dafür bekannt ist, seine Gestalt wechseln zu können, alteriert das Penthouse à la Parasit durch die Besetzung eines Hausdaches seine Umgebung und verändert mit diesem Trick die Wahrnehmung: huch, da oben ist ja wirklich noch viel Platz übrig!
Eine weitere Strategie, die ähnlich dem Cyberaktivismus – der Computersysteme zu Fall bringt – funktioniert, ist das Gender-Hacking. Mithilfe technologischer Prothesen und Erweiterungen werden Körper alteriert und so in ihrem Eingebundensein in Machtverhältnisse, als Materie, in die sich Diskursformationen einschreiben, erkenn- und analysierbar. Durch das Hacken oder Alterieren des Körpers wird dieser zunächst optisch seiner geschlechtlichen Bestimmung entzogen, wodurch Irritationsmomente ausgelöst werden. Die Subvertierung der Gender-Performance stellt einen Angriff auf das cis-heteronormative System dar und bringt seine Grundsätze in die Krise. Hackerinnen eignen sich die Sprachen der Mehrheitsgesellschaft an (Computercodes, Technologien, pharmazeutische Erzeugnisse etc.)5, um diese dann gezielt gegen jene einzusetzen. Daher kann Hacken als eine Form parasitärer Praxen beschrieben werden: auch hier werden Leerstellen und Verwundbarkeiten eines Systems identifiziert, diese als Angriffsflächen genutzt und so Verschiebungen ausgelöst. Während derdie Parasit*in sich andockt, festsetzt und von innen frisst, sind es beim Hacken Codes, die die Zerstörung durchführen. Beide Vorgehensweisen stoßen eine Veränderung an, denn jeder Angriff hinterlässt Spuren und macht Lücken im System sichtbar.
Parasitäre künstlerische Praktiken zeigen gesellschaftliche Missstände auf, indem sie engagiert eindringen und Unordnung produzieren. Sie besetzen einen Zwischenraum auf der Grenze von Kunst und Aktivismus und stellen damit den Nutzen von Kategorisierungen selbst in Frage. Das Penthouse à la Parasit führt in seinem Namen vormals Getrenntes zusammen: das Penthouse meint eine luxuriöse Behausung, was durch das à la noch unterstützt wird, während derdie Parasitin als Marginalisiertes und Abgespaltenes zur Kontrastfolie wird. Dies zeigt sich auch in der Oberflächengestaltung des Objektes: das silberne Glänzen lässt edle Materialien und futuristische Modernität assoziieren, gleichzeitig werfen die Spiegel permanent das Bild des Wirtes zurück und damit das System, in das es interveniert. Außen und innen vermischen sich und werden als außen_innen lesbar. Eine ‚kaleidoskopartige Spiegelfunktion‘ weist Rosi Braidotti Monstern zu, die wie ParasitenParasitinnen als „‘metamorphic‘ creatures“6 fungieren und aufgrund ihrer Existenz als ‚Andere‘ Grenzen sichtbar machen und gleichzeitig verschieben können. Das ‚Andere‘ befindet sich, wie Wirt und Parasitin, in einem Ungleichheitsverhältnis zur ‚Norm[alität]‘.
Das Penthouse à la Parasit macht durch die Benennung von und dem Hinweisen auf Unbestimmtheiten und Widersprüche einen monströsen Missstand sichtbar, nämlich die rücksichtslose Inwertsetzung des Grundbedürfnisses Wohnen und eröffnet durch das Aufzeigen dieses Spannungsverhältnisses eine politische Angriffsfläche. Parasitäre Aneignung kann als eine beschrieben werden, die in den Mehr- und Uneindeutigkeiten neoliberal-kapitalistischer Verhältnisse fruchtbare Interventionsmomente ausmacht und dadurch, wie derdie Parasitin, einen Ausgangspunkt für Transformation markiert. Auch queere Strategien setzen Figuren des ‚Anderen‘ ein, um Verschiebungen und Irritationsmomente auszulösen. Sie können als parasitär beschrieben werden, da sie Un(m)ordnungen produzieren, Leerstellen und Dysfunktionalitäten sichtbar machen. Beide, das Parasitäre und das Queere, bieten diverse Potenziale, um politisch wirksame Kunst zu produzieren. Denn die Kunst, die sich selbst in einem Dazwischen ansiedelt – untrennbar gekoppelt an gesellschaftliche Verhältnisse und gleichzeitig autonom in ihnen –, vereinigt diese Spannungen bereits auf werkimmanenter Ebene und eignet sich daher besonders gut, um die Vielschichtigkeiten sozialer Machtverhältnisse und aktivistischer Potenziale in den Blick zu nehmen. Wenn Politik mit Rückgriff auf Jacques Rancière als Ereignis verstanden wird, das einen Dissens erzeugt, der genau in dem Moment entsteht, in dem eine gängige Ordnung in Frage gestellt wird, zeigen parasitäre, queere künstlerischen Praxen auf, dass ästhetische Fragen immer auch politische Fragen sind.
References
- (1982, 184)
- (1982, 64)
- Lembcke 2019
- Lembcke 2019, 34
- Paul B. Preciado beschreibt auch das Einnehmen von Testosteron als ‚hacking‘: „Some are taking hormones as part of a protocol to change sex, and others are fooling with it, self-medicating without trying to change their gender legally or going through any psychiatric follow-up. They don’t identify with the term gender dysphorics and declare themselves „gender pirates,“ or „gender hackers“ (2008, 55). Testosteron wird zu einem Code, der die Materie des Körpers von innen verändert.
- Braidotti 2014
Literatur:
Rosi Braidotti, Metamorphic Others and Nomadic Subjects, Online-Publikation. In: https://www.artforum.com/uploads/guide.002/id30563/press_release.pdf (letzter Zugriff: 13.06.2020).
Mark Fisher, Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?, VSA Verlag, Hamburg 2013.
Sophie Lembcke, Trickstern gegen das Genie – feministisch Kunst machen mit Erzählfiguren, in: Tonia Andresen, Marlene Mannsfeld (Hrsg.), Inter_Sections: Mapping queer*feminist art practices, Marta Press, Hamburg 2019, S. 16-37.
Paul B. Preciado, Testo Junkie. Sex, Drugs, and Biopolitics in the Pharmacopornographic Era, The Feminist Press, New York 2008.
Jacques Rancière, Ist Kunst widerständig?, Merve, Berlin 2008.
Michel Serres, The Parasite, The Johns Hopkins University Press, Baltimore, Maryland 1982.